Trommelbremsen – Scheibenbremsen

Hätten sie’s gewusst – 50er Jahre: Scheibenbremsen

Bei mancher Passfahrt muss ich schmunzeln, wenn ich hinter einem neuzeitlichen Auto fahrend sehe, dass dessen Bremsleuchten nach Überschreiten der Passhöhe aufleuchten und leuchten und leuchten bis hinunter ins Tal. Zu meinen automobilistischen Anfangszeiten hätte ich mir so ein Bremsverhalten in den damals mit Trommelbremsen bestückten Autos nie erlaubt – hätte das Tal auch nicht erreicht.

András Széplaky

Ja, die heutigen Automobilisten sind in jeglicher Hinsicht verwöhnt. Motorleistung im Überfluss, dazu auch die passenden überdimensionierten Scheibenbremsen, mit welchen sie nach Belieben umgehen können. Wer unter uns kennt noch den Begriff Fading? Ein Schreckgespenst bei Trommelbremsen: Das unerwünschte Nachlassen der Bremswirkung eines hydraulischen Bremssystems durch übermässige Erwärmung der Bremsanlage. Denn Bremsen heisst kinetische Energie in Wärme umzuwandeln. Diese Wärme muss an die Umgebung abgeleitet werden. Dies ist bei einer von einer Trommel umschlossenen Bremse schwierig. Daher haben wir damals gelernt, wenn nötig möglichst kurz und effizient zu bremsen, damit sich die Bremse zwischenzeitlich abkühlen kann. Sportlichere Fahrzeuge bekamen Bremstrommeln mit Kühlrippen an der Aussenseite, beispielsweise MB 300 SL rundum, dann MB 230 SL an den hinten verbauten Trommelbremsen.

LINKS: Die sportlich dimensionierten Bremsbacken und Trommeln der früheren 300 SL Modelle.
 
RECHTS: Alltagsgebräuchliche Trommelbremsen.
 
Bis in die 1970er Jahre musste man die hohe Kunst des richtigen Bremsens beherrschen können…

Apropos Hinterradbremsen. Ihnen kommt eine sehr delikate und heikle Nebenrolle zu. Nebenrolle darum, weil bei einem «normalen» Bremsvorgang diese nur sehr schwach zum Wirken kommen. Beim Abbremsen eines Fahrzeuges verlagert sich das Gewicht nahezu vollständig auf die Vorderachse, das nennt sich dynamische Achslastverlagerung. Auf Deutsch, das Gewicht des Fahrzeuges fällt nach vorne. Dies wird heute von ausgeklügelten Achskonstruktionen ausgeglichen, früher war das sogenannte «Bremstauchen» eine Disziplin bei den Fahrzeugtests. Doch die physikalischen Gesetze lassen sich nicht ausschalten: Beim Bremsen besteht stets die Gefahr der Unstabilität, welche wir an der Vorderachse mit Lenkbewegungen ausgleichen können. An der Hinterachse sind wir jedoch machtlos. Blockieren deren Räder, kommt das Auto ins Schlingern, gar ins Schleudern. Um dies zu vermeiden, sind die hinteren Bremsen kleiner dimensioniert und die Hinterachse verfügt über einen Bremskraftregler, der in Abhängigkeit der Entlastung der Hinterachse die Bremskraft reguliert. Diese Aufgabe der Bremskraftverteilung ist darum delikat, weil bei einer Vollbremsung die Hinterräder sehr wohl mitwirken sollen und müssen, allerdings ohne die vorderen Bremsen zu übertrumpfen.

Moderne Fahrzeuge bewältigen solche und noch weit höher gelagerte Problematiken durch ihre unzähligen elektronisch gesteuerten Systeme wie ABS (Anti Blockier System) und eine Reihe weiterer drei magischen Buchstaben. Aber wir Oldtimerfahrer müssen uns auf unsere, meist mechanischen Bremskraftregler verlassen und auf unser Gefühl für Fahrdynamik bei heiklen Situationen. Walter Röhrl sagte in einem Interview: «Die wahre Kunst der Fahrzeugbeherrschung erkennt man im instabilen Fahrzustand». Dazu gehört bei uns weniger das Driften in den Kurven, als das Abbremsen in heiklen Situationen.

Nun zurück zur Bremshydraulik: Warum gab es damals die strikte Anweisung, alle zwei Jahre die Bremsflüssigkeit zu wechseln? Diese Flüssigkeit ist hygroskopisch, d. h. zieht aus der Umgebung Feuchtigkeit an, welche dann zu Wasserbildung führt. Wird die Bremsanlage so heiss, dass die Bremsflüssigkeit den Siedepunkt des Wassers erreicht, wird aus diesem Wassereinschluss Dampf, also ein Gas. Die Wirkungsweise der hydraulischen Bremsen beruht darauf, dass Flüssigkeiten nicht komprimierbar sind, also Kräfte ohne Verlust übertragen. Nicht so die Gase. So treten wir in diesem Falle das Bremspedal notfalls bis zum Wagenboden durch – ohne Bremswirkung.

Scheibenbremssysteme sind mehrheitlich frei liegend. So erfolgt die Kühlung ungleich effektiver als bei Trommelbremsen. Zudem verfügen heute stärkere Fahrzeuge zumindest vorne über innenbelüftete Bremsscheiben, Supersportwagen sogar über solche aus Karbon oder Keramik.

…bis endlich die Erlösung von allen Bremsproblemen Verbreitung findet: Die Scheibenbremse.

Doch wann fand die Umstellung statt? Mercedes war da in vorderster Reihe, aber nicht Pionier. Das erste Patent für eine mechanische Scheibenbremse für Automobile wurde 1902 eingereicht. Doch bleiben wir bei den Serienfertigungen. Diese finden wir – wie könnte es anders sein – in der Rüstungsindustrie: Im deutschen Kampfflugzeug Arado Ar 96 aus den dreissiger Jahren, dann im Panzerkampfwagen VI Tiger von Henschel aus dem Jahre 1942. Im zivilen Dienst waren es die Engländer, die diese Innovation einführten. Es geschah im Jahre 1953 mit dem Rennsportwagen Jaguar C-Type, der sogleich mit seinen Dunlop Scheibenbremsen Le Mans Doppelsieger wurde mit einem zusätzlichen 4. Rang. Dann folgte 1955 Citroën im legendären DS mit innenliegenden Scheibenbremsen an den Vorderrädern. Ebenfalls 1955 war es der überarbeitete englische Austin-Healey 100 mit erstmals rundum Dunlop Scheibenbremsen.

Als erster Mercedes-Benz Serien-Pkw hatte das 220 SEb Coupé Scheibenbremsen der britischen Marke Girling an den Vorderrädern, Serienbeginn Februar 1961. Der sportliche, überarbeitete 300 SL erhielt erst zwei Monate später Scheibenbremsen, dann allerdings an allen vier Rädern und von Dunlop.

In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist die 1935 bis 1975 währende Montage Suisse der GM Modelle in Biel. Amerikanische, aber auch deutsche GM Produkte (OPEL) wurden hier in Zusammenarbeit mit Schweizer Zulieferfirmen zusammengebaut. Der Zweck war ein doppelter: Die Regierung versuchte mit allen Mitteln die, in den 30er Jahren von Arbeitslosigkeit gebeutelte Schweizer Wirtschaft anzukurbeln, erhob Einfuhrzölle und machte teilweise Importe von heimischem Zusammenbau abhängig. Zweitens mussten die auf amerikanische Topografie und Geschwindigkeitslimiten zugeschnittenen Amerikanerwagen auf Schweizer Verhältnisse getrimmt, anders ausgedrückt, alpentauglich gemacht werden. Hierzu gehörten nebst Ölkühler auch leistungsstärkere Bremsen, zum Teil in Form von Scheibenbremsen.


 
Bis wir eine Scheibenbremse

zum Glühen bringen, müssen
wir mindestens mit einem
AMG-Modell eine Rennpiste
aufsuchen.

Oldtimer fahren ist eine spannende, aber auch anspruchsvolle Sache. Wir haben weder Motoren- noch Bremsleistung im Überfluss und müssen mit beiden haushälterisch umgehen. Das wird wohl einer der Gründe sein, warum wir nicht Briefmarken sammeln…

Allseits gute Fahrt mit Trommel- oder Scheibenbremsen wünscht die Redaktion!