Stuttgarter-Tage vom 18. – 20. Oktober 2017

Vorab einen ganz herzlichen Dank an Sonja & Kurt für den sehr gut organisierten Ausflug.

Männi Dettwiler
 
Im Morgengrauen trafen nach und nach 37 MB-Enthusiasten und einige Gäste bei der Liga in Wil ein. Um Punkt 07.30 startete die Gruppe mit dem feudalen ****-Car der Firma Dähler. Ruedi, der Chauffeur steuerte den Bus sicher Richtung Stuttgart. Die Motorworld Böblingen war das erste Ziel, ein Mekka für Auto- und Motorradliebhaber.
 
In den denkmalgeschützten Hallen des ehemaligen Landesflughafens von Württemberg konnten wir mehrere Dutzend besondere Fahrzeuge ganz nah bestaunen. Von professionellen Anbietern werden Fahrzeuge restauriert, verkauft, gewartet und vermietet. Private Oldtimer- und Sportwagenbesitzer können ihre «Schätze» in Glasboxen präsentieren oder ganz diskret und versteckt wegstellen. Mehrere MB-Modelle, vom Stuttgart 260, 170 S, 190 SL bis zum Ponton Cabrio, ins letzte Detail restauriert, stehen zum Verkauf. Nebst alten Porsches und weiteren seltenen Sportwagen präsentieren sich aktuelle Modelle von Lamborghini, McLaren und Bentley-SUVs, für die möglicherweise ein LKW–Führerschein benötigt wird, in den ehrwürdigen Hallen. Wer einen mehrtägigen Aufenthalt plant kann sich im V8-Hotel ein Zimmer in einzigartigen Fahrzeug-Betten buchen, z.B. das Käferbett mit einem Schlumi ab der Zapfsäule.
 

Einige Turbulenzen bescherte Sonja & Kurt die Wirtin. Sie hatte den Termin für das Mittagessen bestätigt, aber vergessen, ihn einzutragen. Mit viel Einsatz der Küchen- und der Restaurantcrew wurde uns mit etwas Verspätung das bestellte Mittagessen serviert. Auch für die anschliessende Besichtigung des Werks MB-Sindelfingen war Flexibilität gefragt, da unsere Führung nach hinten verschoben wurde.
 
Das Gelände von MB-Sindelfingen ist knapp 3 km² gross. Zum Vergleich: Der Staat Monaco hat eine Fläche von 2 km² und gleichviele Bewohner wie Mitarbeiter bei MB-Sindelfingen tätig sind. 37‘000 Angestellte (die Bevölkerung vom ganzen Kanton Uri) produzieren pro Tag in Sindelfingen 1’800 Fahrzeuge der E-Klasse und S-Klasse inklusive Maybach-Ausführung. Sie werden dabei von 4‘400 Robotern unterstützt. Es war sehr eindrücklich zu sehen, wie vollautomatisch die vorgeformten Bleche aus Aluminium und Stahl, sowie Druckguss-Teile auf 0.3 mm genau zusammengeschweisst, geklebt und genietet werden. Wie von Geisterhand entstehen dabei die kompletten Karosserien. Jeder Arbeitsschritt wird nach der Vollendung sofort vollautomatisch kontrolliert und protokolliert. Ein paar wenige Angestellte sind dafür verantwortlich, dass alles läuft und die Roboter tun, was sie müssen.
 
Bei der Endmontage ist das Verhältnis von Mitarbeiter und Roboter 9 zu 1, also umgekehrt wie bei der Karosserie-Produktion. Auch hier ist es spannend zu sehen, wie Mensch und Maschine miteinander das Fahrzeug fertig montieren. Unabhängig von Farbe, Ausrüstung und Modell werden die Autos auf den Förderbändern zusammengestellt. Jedes Teil, jede Baugruppe und jede Schraube ist immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar. Im Gegensatz zu den Robotern, die immer dasselbe tun, wechseln die Menschen ca. alle 2 Stunden ihre Tätigkeiten, um ihre Arbeit abwechslungsreicher zu gestalten. Eindrücklich war zu sehen wie ein Roboter das komplett fertig montierte Cockpit (ca. 35 kg schwer) ab einem Gestell greift und vorsichtig durch die Türöffnung ins Fahrzeuginnere transportiert, platziert und befestigt. Menschen, die mit grosser Sorgfalt Kabel verlegen, Federbeine montieren und, wenn vom Kunden nicht anders gewünscht, die Typenbezeichnung auf den Kofferraumdeckel kleben. Nach der Fertigstellung wird jedes einzelne Fahrzeug vor der Auslieferung noch einmal komplett geprüft. Auf einem Rundkurs wird auch das Fahrwerk auf Funktion und Geräuschentwicklung kontrolliert.
 
Nach dem Apéro und anschliessenden Abendessen im Hotel, den vielen angeregten Gesprächen, die von einigen an der Hotelbar fortgesetzt wurden, ging der erste spannende Tag zu Ende.
 
Tag 2
Nach dem ausgiebigen Frühstück, der überstandenen Mutprobe vom Überqueren der 4-spurigen Hauptstrasse zum Bus, chauffierte uns Ruedi zur AMG-Manufaktur nach Affalterbach. In 3 Gruppen  wurden uns die Motorenendmontage, Abteilung Sonderwünsche und die Kundengarage gezeigt.
 
In der Motorenmontage baut ein Mechaniker in ca. 3½ Stunden den z. Z. weltbesten 4L V8 Biturbo-Motor Typ M 177 DE 40 AL nach dem Prinzip «ein Mann – ein Motor» komplett zusammen. Ein highend Produkt mit 612 PS, einem Drehmoment von 850 Nm, welches das Herz von Motor-Enthusiasten und Technik-Verliebten höher schlagen lässt. Als letztes wird zuoberst auf die Motor-Abdeckung eine Plakette mit der Unterschrift des jeweiligen Mechanikers geklebt.
 
Abteilung Sonderwünsche, eine exklusive Ausstellung. Hier wird das «Unmögliche» möglich gemacht. Jeder Kundenwunsch wird da erfüllt. Z. B. Einzel-lackierungen nach Angaben des Käufers (Aufpreis zwischen 10‘000 und 12‘000 €). Farbkombinationen zwischen Aussen- und Innenfarben, welche im Prospekt nicht vorhanden sind. Ledervarianten mit gestickten Familienwappen oder anderen kreativen Ideen der Kunden. Die einzige Einschränkung ist die fabrikationsbedingte Machbarkeit. Exklusive Ausführungen von Fahrzeugen entstehen, die so zum Unikat werden. Über die Preise wird hier nicht gesprochen bzw. verhandelt. Mit pro Jahr 2-stelligen Umsatzsteigerungen, im letzten Jahr knapp 40 %, gibt diese Preispolitik AMG recht.
 
Als dritte und letzte Station konnten wir die Kundenwerkstatt besichtigen. Da betreibt AMG einen Garagenbetrieb, der an Kundenfahrzeugen Service und Reparaturen durchführt. An verschiedensten Mercedes-Benz AMG Fahrzeugen wurde gearbeitet. Vom kleinen A 45 bis zum ganz schnellen Mercedes-Benz AMG GT, der über 300 km/h fährt und in 3.6 Sek. von Null auf 100 km/h beschleunigt. Angeblich soll der E 63 S 4 Matic noch 0,2 Sek. schneller sein. Also sieht bei einem Ampelstart der GT neben einem 
E 63 S sehr alt aus! Oder nicht? Für mich eigentlich ohne Bedeutung, da ich weder den Einen noch den Anderen je besitzen werde.
 
Bei Diskussionen und angeregten Gesprächen im Bus, trafen wir nach kurzer Fahrt in Stuttgart ein. Schon von Weitem ist das architektonisch sehr schöne Mercedes-Benz Museum zu sehen. Das 47,5 m hohe Gebäude steht auf einer Grundfläche von 3’500 m², hat ein Volumen von 210‘000 m³ und bietet über 9 Geschossebenen eine Ausstellungsfläche von 16’500 m². Der niederländische Architekt Ben van Berkel hat mit einem sehr aufwendigen und formschönen Bau ein Wahrzeichen für Stuttgart realisiert und damit manchen Handwerker herausgefordert.
 
Nach dem dortigen Mittagessen war der individuelle Museumsbesuch angesagt. Als einziges Museum der Welt kann das Mercedes-Benz Museum die Automobilgeschichte vom ersten Tag seit 1886 lückenlos darstellen. Mit dem Lift ganz nach oben zum Anfang mit dem damals modernsten Automobil mit Verbrennungsmotor. Auf dem spiralförmig nach unten führenden Weg erwarten den Besucher über 160 Fahrzeuge und insgesamt mehr als 1‘500 Exponate. An den Aussenwänden, parallel zur automobilen Entwicklung, die eindrückliche Zeitgeschichte, auch mit für MB sehr kritischen Themen der letzten 130 Jahre. Ein spannender Museumsbesuch, der sich immer wieder lohnt.
 
Zum 50 Jahre Jubiläum von AMG wurde wenige Stunden vor unserem Besuch eine Sonderausstellung eröffnet. Hier wird die Geschichte der Gründer Werner Aufrecht und Erhard Melcher aufgezeigt. Zu sehen sind Meilensteine der AMG-Erfolge von der «roten Sau» bis zum allerneusten Mercedes-AMG Project ONE 2017.
 
Die «rote Sau» (auf Basis des 300 SEL 6.8 M 109), erreichte 4 Jahre nach der Firmengründung 1971 beim 24-Stunden Rennen von Spa-Francorchamps auf Anhieb den Klassensieg und den 2. Platz in der Gesamtwertung. Ab diesem Zeitpunkt war der Name AMG weltweit bekannt. Noch einige Angaben zum Mercedes-AMG Project ONE 2017: Dieses Fahrzeug wird in einer Kleinserie von 275 Exemplaren gebaut und ab 2019 ausgeliefert. Der Antrieb ist derjenige vom Formel 1-Rennwagen Mercedes F1 W 07 Hybrid. Der 1.6-Liter V6 Ottomotor leistet zusammen mit 3 Elektromotoren 1054 PS. Alle Motoren beschleunigen gemeinsam das Fahrzeug in 2.6 Sek auf 100 km/h, in 6.0 Sek auf 200 km/h und erreichen in 11.0 Sek 300k m/h. Die max. Geschwindigkeit liegt bei über 350 km/h. Wer noch eine Kapitalanlage sucht (sofern nicht bereits ausverkauft) kann sich mit einem Betrag von +/- 2.85 Mio CHF beteiligen.
 
Tag 3
Besuch im Center of Excellence, einer Ausstellung nur für Ausstattungsvarianten. Mercedes-Benz Exklusivfahrzeuge präsentieren sich in extravaganter Umgebung. Das Zusammenspiel aus eindrucksvoller Aussen- und Innenarchitektur und modernster Präsentationstechnik sowie persönlicher Beratung, schafft den passenden luxuriösen Rahmen. Hier werden keine Fahrzeuge verkauft, sondern die Ausführungs- und Zubehörliste erweitert. 
 
Gepanzerte Fahrzeuge nach verschiedenen Sicherheitsstufen, für Staatsoberhäupter oder andere Personen, die sich fürchten (ev. fürchten müssen) werden hier konfiguriert. Dazu kommen all die Sonderwünsche, die, wie oben bereits beschrieben, bei AMG erhältlich sind.
 
Die so realisierten Fahrzeuge können dann hier mit persönlichster Betreuung vom Kunden direkt abgeholt werden. Hier wird oberste Diskretion gross geschrieben, mit Ausnahme eines Gruppenfotos durften hier, wie bei AMG, keine Bilder geknipst werden.
 
Schon steht der nächste Programmpunkt an! Weiter geht es nach Tübingen zum Auto- und Spielzeugmuseum. Rainer und Ute Klink führen das Boxenstop-Museum seit 1985. Die Führung übernimmt Rainer Klink. Er zeigt uns seine Raritäten und weiss uns Besucher mit spannenden Ausführungen und Geschichten für jedes Exponat zu begeistern: Von alten, sehr seltenen Autos, über Motorräder mit klingenden Namen wie MV Augusta, BMW, Ducati, Norton, bis zu Spielzeugeisenbahnen, -autos, -flugzeugen, -schiffen und Puppen. Eine sehr spannende und einzigartige Sammlung, bei welcher mancher von uns an seine Kindheit erinnert wurde. Es war zum Abschluss eine schöne Abwechslung nach zwei Tagen spannender Automobilgeschichte.

     

Mitten im Museum, von Raritäten umgeben, sassen wir alle am langen Tisch und füllten unseren Magen. Schon war es wieder Zeit um aufzubrechen. Nach dem Kaffee ging es in den Bus zur Rückfahrt. Etwas müde, z. T. schlafend, oder entspannt mit den Gedanken bei all dem Erlebten, liessen wir uns durch Ruedi wieder nach Wil zurück fahren. Eine tolle Reise, die sicher bei allen noch lange in Erinnerung bleiben wird.