Frühlingsausfahrt 2019

Rekordverdächtig – die Superlative der Frühlingsausfahrt 2019

Doris Amacher

Früher ist man nach einem kurzen Blick zum Himmel einfach losgefahren, heute öffnet man das App von MeteoSwiss und lässt die farbigen Regenmengenwolken des Wetterradars für die kommenden Stunden vorbeiziehen. Dieser neue Zwang zur meteorologischen Voraussehbarkeit des Tages wirkt sich nicht nur auf die Anzahl und Dicke der Jacken und Halstücher aus, sondern auch auf die Wahl des Fahrzeugs – wer denn eine solche überhaupt hat. Auch ich nehme mich von diesem Verhalten nicht aus, denn die Frontscheibe meines 190 Ponton Kombi von 1957 ist nicht ganz dicht. Der 190 E 2.3 von 1989 muss es also ausbaden.
 
Obwohl wir viel zu früh beim neuen Stammlokal des Aargau / Zürich-Stamms in Brunegg eingetroffen sind, waren – wie immer – schon fast alle da. Souverän und wohl organisiert klappte das Parkieren der 67 Old- und Youngtimer unter der freundlichen Anleitung von René Biland, Michael Brühl und Männi Dettwiler. Bei den Begrüssungen der vielen MBVC-Kolleginnen und Kollegen kam grosse Wiedersehensfreude auf und es wurden ohne Zögern Motorhauben geöffnet. Aber auch der Gesundheitszustand der Fahrerinnen und Fahrer war rasch ein Thema. Dann kam das Nadelöhr: An Sonja Schweizer, Pia Meier und Paula Nacht kam Keine und Keiner vorbei. Die drei führten wie gewohnt mit Charme, Witz und Durchblick die Buchhaltung über die Eintreffenden und statteten sie mit den Ausfahrtsunterlagen aus. Alle 123 Teilnehmenden fanden in einer der Stuben des Landgasthauses zu den drei Sternen einen Platz und erhielten den Willkommens-Kaffee mit Gipfeli.

Beim Start kam es wegen der grossen Anzahl gleichzeitig losfahrender Oldtimer zu einem kurzen Stau und einem Durcheinander mit dem Samstagsverkehr, aber die Knoten waren schnell und freundlich aufgelöst und spätestens nachdem wir in Umiken den Aarelauf verliessen, bildete sich ein eindrücklicher, quasi geschlossener Sterne-Konvoi, der sich über den Bözbergpass und die sanft gewellte Hochebene des Tafeljura dahinschlängelte. Als wir die Passhöhe des Ampferenpasses erreicht hatten, setzte der Regen ein und die Überquerung des Sulzerbergs entwickelte sich zunehmend zu einer Fahrt ins Graue. So schade! Denn trotz Wetterpech war ganz eindeutig erkennbar, dass die Routenwahl eine Auszeichnung verdient und die kleinen Landsträsschen quer durch das wunderschöne Gebiet «Jurapark Aargau», der seit 2012 als «Regionaler Naturpark von nationaler Bedeutung» ausgezeichnet und im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung eingetragen ist, prächtig und für viele Teilnehmende Neuland. Wer ist schon via Bözberg, Ampferenpass und Sulzerberg nach Frick gefahren – ich jedenfalls noch nie!

Weiter gings vom Fricktal hinauf zur Hochebene von Schupfart und Wegenstetten, wo uns herrliche Weitsicht und grosszügiges Landwirtschaftsgebiet begleiteten. Schliesslich verliessen wir den Kanton Aargau und begaben uns auf Basellandschaftlichen Boden. Nach Hemmiken folgten in der Talsohle am Fuss des Schönenbergs und des Sunnenbergs die von Weinbau und Agrarwirtschaft geprägten Dörfer Buus, Maisprach und Magden mit vielen in ihrer ursprünglichen Gestalt erhaltenen und denkmalgeschützten Gebäuden. Bei der Durchfahrt von Maisprach hat es geschneit – Blütenblätter. Und plötzlich öffnete sich das Rheintal vor uns, wir waren in Rheinfelden eingetroffen, überquerten die Autobahn, zweigten in die Dr. Max-Wüthrich-Strasse ab, die nach einer Kurve zur Theophil Roniger-Strasse wurde, fuhren an den Werksgebäuden der Brauerei vorbei, bogen in die Feldschlösschen-Strasse ein und wurden von den Helfern in orangen Leuchtwesten, René Biland, Männi Dettwiler und «Feldschlösschen“-Event-Manager Michael Gilgen ins Brauereigelände direkt vor das Brauerei-Schloss gelotst. Das Ziel war erreicht, die Oldtimer wurden sorgfältig auf dem Areal aufgereiht und ergaben eine wunderbare Kulisse vor dem märchenhaften Backsteingebäude.

Nach der Ankunft teilten wir uns in vier Gruppen auf und folgten unseren Brauerei-Guides. Während der eineinhalb-stündigen Führung durften wir die für verschiedene Arbeitsschritte errichteten Gebäude und Räumlichkeiten besichtigen. Grossen Eindruck hat bei mir das reich ausgestattete, beinahe sakral anmutende Sudhaus von 1908 hinterlassen. Die grossen, wie Zipfelmützen geformten und hochglanzpolierten Sudkessel (Kupferbraupfannen) stehen zwischen hohen Säulen mit Würfelkapitellen, welche den Saal wie bei einer Kirche in Schiffe unterteilen, eine mit Jugendstildekor verzierte Mitteltreppe aus Marmor führt zu einer fast chorartigen Galerie und in der Mittelachse ist ein farbiges Glasfenster eingelassen. Es zeigt nebst dem Portrait von Theophil Roniger auch ein Burgtor, das Feldschlösschen-Signet, das von Greifvögeln gehalten wird. Der Geruch des Malzes und die warme Temperatur erinnern mich dann rasch wieder daran, dass hier ganz profan Bier gebraut wird.
 
Um das Bier nach der Erhitzung im Sudhaus auf niedrigere Temperaturen zu bringen, musste es mit Eis gekühlt werden. Das Eis wurde seit 1876 mit Eiskompressoren hergestellt, die mit Dampfmaschinen angetrieben wurden. Eine solche Anlage aus der Wende zum 20. Jahrhundert gab es im Maschinenhaus zu bewundern. Sie besteht aus einem liegenden Sulzer-Boxer-Ammoniakkompressor, gekuppelt mit einer horizontalen, zweistufigen Tandemverbund-Dampfmaschine (Baujahr 1900). Mit einem Transmissionsflachriemen trieb sie einen Generator zur Stromerzeugung an. Die Maschinenhalle selbst ist wieder, wie das Sudhaus, mit Ornamenten ausgezeichnet. In der unteren Hälfte der Wände fallen die zierlich ornamentierten Delfter Kacheln auf, im oberen Bereich sind Symbole aufgemalt, welche im Zusammenhang mit dem Bierbrauen stehen.

Auffallend ist das Hexagramm oder der Braustern. Der Sechsstern vereinigt die Symbole für die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft, Erde, die alle ihren Anteil an der Entstehung des Biers haben, gleichzeitig ist er Symbol für die Vereinigung des Irdischen (Spitze nach unten) mit dem Göttlichen (Spitze nach oben) – dies, weil das Bier ursprünglich auch ein kultisches Getränk war, das von Priestern für die Sinneserweiterung eingenommen wurde.
 
Weiter gings in die um 1920 erbauten Gärkeller. Auch diese niedrigen, weiten Hallen mit den grossen mit Chromstahl ausgeschlagenen Wannen waren höchst beeindruckend. Insbesondere, wenn man sich den Geruch des gärenden, nun mit Hefe angereicherten Bieres vorstellte. Auch hier zeugt die Vereinigung von zweckvoller Materialität (Chromstahl, Bündel von Leitungsrohren, gekachelte Wände) mit Ästhetik (ornamentierte Pfeiler mit Kapitellen, barock anmutende Deckengestaltung mit Bullaugen) von hoher Baukultur.

Apropos Baukultur: Wieso wurde die Brauerei als «Schloss» errichtet und wieso in Backstein?

Der Industriebau bildete im 19. Jahrhundert eine völlig neue Aufgabe für die Architektur, es waren neue Raumformen und Gebäudetypen gefragt. Dafür griffen die Architekten gerne auf historische Baustile zurück. In der Schweiz und in Deutschland dienten vielfach mittelalterliche Burgen als Vorbild. Der romantischen Vorstellung von Burgen oder Schlössern entsprechend, wurden charakteristische Grundelemente zu einem idealisierenden, repräsentativen Gebäudekomplex zusammengefügt. Dafür eignete sich der Backstein ganz besonders, weil er die unterschiedlichsten Formen und Farben annehmen konnte, vielseitig verwendbar und zudem preisgünstig war.

Viele Ausstellungsgegenstände wie Küffereiwerkzeuge, ein grosses Modell des Feldschlösschen-Areals, dazu Auskünfte über Hopfen, Malz, Hefe, Maischpfannen, Läuterbottich, Würzepfannen, den Gästezug (der heute nicht mehr fährt), oder die Informationen, dass 60% der Lieferungen mit der Bahn erfolgen, keine Mitglieder aus der Gründerfamilie mehr in der Firma sind, Feldschlösschen seit 2000 zu Carlsberg gehört, 1898 erstmals über 100’000 Hektoliter Bier hergestellt wurden, dass es vom Anfang des Brauvorgangs bis zum Abfüllen 6 bis 7 Wochen dauert, dass es in Rheinfelden 657 und insgesamt in der Schweiz 1400 Feldschlösschen-Mitarbeitende gibt, und, und, und – haben wir von den vier Guides Sascha Kilchenmann, France Allemann, Anna Furrer und Claudia Hautzel während den hervorragenden, sehr lebendig und interessant gestalteten Führungen gehört. Den grossen Applaus haben sie sich wohlverdient. Die Besichtigung endete mit einer flüssigen Feldschlösschen-Überraschung für uns alle.
 
Hunger und Durst drängten uns nun zu Tisch. Zum Apero erhielten wir ein Glas Zwickelbier – wie könnte es anders sein. Für das Mittagessen war wegen der grossen Anzahl der Teilnehmenden ein Buffet ausserhalb des Restaurants in einem Zelt aufgebaut worden. Weil das Wetter nicht nur uns, sondern auch die Restaurantverantwortlichen mit einem Kälteeinbruch überrascht hatte, trübte das Abholen der Speisen in der Kälte und auf kalten Tellern leider die Essensfreude ein wenig.

 Nach dem Mittagessen wurde das wohlverdiente Lob an die Organisierenden ausgesprochen. Der Präsident dankte allen, voran Roland Blaser, der uns zusammen mit Pia Meier, Männi Dettwiler, Kurt Schweizer und vielen weiteren Helfern eine landschaftlich grossartige Ausfahrt zusammengestellt und einen lehrreichen Einblick in die Welt der Bierbrauerei ermöglicht hat. Danke, Roland & Crew! Ganz besonders gilt es das präzise Roadbook zu erwähnen, für das Männi Dettwiler und Regula Betz verantwortlich waren. Auch die gesamte Feldschlösschen-Crew und die Teilnehmenden erhielten vom Präsidenten einen Dank ausgesprochen.
 
Im Anschluss an das Mittagessen waren für uns die Stallungen mit den belgischen Brauereipferden sowie die Sammlung der historischen Fahrzeuge von Feldschlösschen geöffnet. Mich zog es eindeutig in die Halle der Fahrzeuge. Die beiden Mitglieder des Oldtimer-Clubs Feldschlösschen, Martin Flückiger und Markus Braun, gaben gerne zu jedem Fahrzeug Auskunft. Sie wussten viele spannende Geschichten zu erzählen. Beispielsweise über den Packard 904 Sedan von 1930. Dieser ehemalige Direktionswagen war verschollen, bis in den 1970er-Jahren der Feldschlösschen-Werkstattchef in einer Zeitung die Ausschreibung eines Packard der 8er Serie sah. Nach genaueren Untersuchungen stellte sich heraus, dass es sich bei diesem zwischenzeitlich als Pikettfahrzeug des Thurgauer Feuerwehrkorps genutzte Wagen um ebendieses Direktionsfahrzeug handelte. Ist es nicht schön, dass mit dem Packard jetzt oft Feldschlösschen-Mitarbeitende an ihrem letzten Arbeitstag vor der Pensionierung nach Hause gefahren werden! Und stolz erklären die beiden Oldtimer-Betreuer, dass nicht nur der Packard, sondern alle Fahrzeuge fahrbereit seien und bewegt werden. Für Events geeignet und beliebt ist der «Durstlöscher» genannte Fiat 15 TER mit Baujahr 1914. Das ursprüngliche Löschfahrzeug der italienischen Armee wurde mit einer Offenausschankanlage ausgerüstet und kommt als moderner Brandbekämpfer bei vielen Feldschlösschen-Anlässen zum Einsatz.

     

Und zum Abschluss ein PROSIT auf die Superlative der Frühlingsausfahrt 2019:

123 Teilnehmende, 67 Fahrzeuge, wunderbare Strecke, «Jurapark Aargau», hervorragend präzises Road-
book, Anwesenheit des gesamten Vorstands, Teilnahme von Gründungsmitglied Markus Ackermann, Ernst Schär mit 93 Jahren ältester Teilnehmer, Feldschlösschen Getränke AG als führende Bierbrauerei und grösster Getränkehändler der Schweiz…

…. und zu guter Letzt kräftiger Schneefall, der uns kurz nach der Abfahrt in Rheinfelden einholte. Wer ausser Roland Blaser bringt dies an einer Frühlingsausfahrt sonst zustande?!

  
Sie kauften die «Gifthüttli» genannte chemische Fabrik (Anilinwerk) und bauten sie zur Brauerei um. Die Lage am Ausgang des Magdener Tales war günstig (Wasservorkommen, Nähe zur 1875 erbauten Bözberg-Bahnlinie). Am 8. Februar 1876 brauten sie dort das erste Bier. Den Namen «Feldschlösschen» brachte Roniger von seiner Wanderschaft als Brauergeselle aus Braunschweig mit.
  

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